HEINER MÜLLER . LABORATORI QUARTETT

LA BIENNALE DI VENEZIA
INTERNATIONALE HEINER MÜLLER GESELLSCHAFT

Venedig, 23. – 26. September 2010


Konzept und Leitung:
Klaudia Ruschkowski, Peter Kammerer, Wolfgang Storch
in Zusammenarbeit mit Luca Francesconi


4 Laboratori in 4 Sprachen unter Leitung von:
Laurence Calame (französisch)
Graziella Galvani (italienisch)
Annette Jahns (deutsch)
Lauren Newton (englisch)


Die Laboratori begannen mit einem Gespräch zu "Quartett lesen und komponieren“. Gearbeitet wurde im Teatro Junghans auf der Giudecca.
An jedem Laboratorio nahmen 4 oder mehr junge SchauspielerInnen und SängerInnen teil. Die Arbeit endete mit einer gemeinsamen öffentlichen Präsentation in der Sala delle Colonne der Ca’ Giustinian, Sitz der Biennale di Venezia.


VALMONT Was ist. Spielen wir weiter!
MERTEUIL Spielen wir? Was weiter?


Vorlage für dieses 1981 entstandene Zweipersonenstück ist der Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ von Choderlos de Laclos von 1782. Heiner Müller stellte seinem Stück die Anweisung voran:

Zeitraum: Salon vor der Französischen Revolution/Bunker nach dem dritten Weltkrieg.

In vier Laboratori untersuchten vier internationale Künstlerinnen gemeinsam mit jungen SchauspielerInnen und SängerInnen verschiedene Facetten, Motive und Leidenschaften, die Heiner Müller dem Text eingeschrieben hat: mit vier sehr unterschiedlichen Methoden, in vier Sprachen: italienisch, englisch, französisch und deutsch. Annäherungen an ein Werk, das als das skandalöseste Heiner Müllers gilt.

Wo findet sich aber der eigentliche Skandal?


LAURENCE CALAME
Schauspielerin / Regisseurin

Es gibt keinen Raum klein genug, geschlossen genug, zwei menschliche Wesen zeitlebens in sich selbst einzusperren. (Henri Laborit)

Was das Paar Merteuil-Valmont berühmt gemacht hat – und unter Paar verstehe ich den Austausch zwischen zwei Menschen, die fleischlich so verbunden sind, dass sich auch ihr Bewusstsein gepaart hat –, ist die absolute Beherrschung ihrer Kunst. Monsieur de Laclos hat sie als skandalöse Virtuosen eingesetzt, das Vertrauen der anderen auf perfekte Art zu manipulieren. Als einzige Überlebende der Katastrophe des Dritten Weltkriegs und daher ohne das für ihre Kunst so nötige Publikum, machen Merteuil und Valmont den Eindruck zweier von der wahnwitzigen Vorstellung gedopte Champions, dass sie Macht über andere besäßen. Als Belohnung in einem Zweikampf von gleich zu gleich – jeder übernimmt auch die Rolle des “schwachen Geschlechts” – erhält der Sieger das Recht, letzter Überlebender im Bunker zu sein. Versetzen ihre Kräfte, ihre Fähigkeiten, ihre Intelligenz, ihre Rhetorik und ihr Stolz die beiden wirklich in die Lage, dem Leiden zu entkommen? Sind ihre Wunden so unsensibel geworden, dass sie keinen Anlass mehr zum Klagen geben? Ist es möglich, unter den Masken die Fragilität des Seins zu entdecken? Wo liegen ihre Fehler? Ich schlage vor, diese Fehler aufzuspüren, als Beweis für ihre Menschlichkeit.


Laurence Calame studierte an der Ecole Supérieure d'Art Dramatique Genf. Arbeit in der Schweiz (Théâtre de Carouge, Comédie, Théâtre Le Poche -Genève, Saint-Gervais, Théâtre Vidy - Lausanne ), in Deutschland (Schauspielhaus Bochum, Hamburgische Staatsoper), in Frankreich (Théâtre National de Strasbourg, BobignyMC93, Théâtre de l'Athénée-Louis Jouvet, Théâtre de la Ville, Théâtre National de Bretagne) und in Belgien (Rideau de Bruxelles). Fuer ihre Inszenierung Le Professionnel von Dusan Kovacevic wurde sie mit dem Preis des Festivals Sterijino Pozorjie Novi Sad ausgezeichnet (2004). Sie uebersetzte und bearbeitete Werke von Tschechov, Schnitzler, Strindberg und Heiner Müller.


GRAZIELLA GALVANI
Schauspielerin / Regisseurin

Wie organisiert man die Begegnung/Auseinandersetzung zwischen dem Textkörper und dem Darsteller, so dass sich das Publikum in das theatrale Spiel einbezogen fühlt: körperliche Präsenz und Haltungen des Schauspielers, Klänge, Stimme, Raum, Licht etc. (das kann da sein oder auch nicht), damit jeder Zuschauer dem, was er sieht, Sinn entnehmen kann durch den Filter seiner eigenen Sensibilität und seiner Erfahrungen.


Graziella Galvani studierte an der Schule des Piccolo Teatro di Milano. Tourneen in Italien und in Europa mit der Aufführung “Arlecchino servitor di due padroni” von Carlo Goldoni in der Regie von Giorgio Strehler. Sie spielte in zahlreichen Filmen und Theaterstücken, seit 1984 besonders in Stücken deutscher Autoren, darunter auch in “Quartett” von Heiner Müller. 1995 inszenierte sie “Na Ausencia do Senhor Von Goethe” von Peter Hacks am “Teatro Nacional Dona Maria II” in Lissabon. Regiearbeit u.a. in Stuttgart mit “La locandiera” von Carlo Goldoni. Autorin von Hörspielen für die RAI. Mit ihrer jüngsten Arbeit “4 Cosmicomiche” von Italo Calvino gastiert sie in verschiedenen europäischen Ländern.


ANNETTE JAHNS
Mezzosopran / Regisseurin

Was ist ein Text? Was nehmen wir davon wahr? Klang? Stimmung? Inhalt?
Ausgehend von diesen drei Aspekten wird der Text mit den Möglichkeiten der Stimme in all ihren Facetten ( vom Flüstern über Sprechen, Singen bis zum Schreien) ausgelotet. Es entstehen Klang-Collagen und Kompositionen, die den Text auf unterschiedliche Weise ausdeuten und interpretieren.

Annette Jahns wurde in Dresden geboren. Von 1986 bis 1999 war sie Solistin an der Semperoper. Schon früh entwickelte sie Performances mit bildenden Künstlern wie A.R.Penck und Helge Leiberg und mit Jazzmusikern wie Vladimir Tarasov und Conni Bauer. Seit 1995 unterrichtet sie an der Hochschule für Musik“Carl Maria von Weber”, Dresden. Von 1996 bis 2009 Zusammenarbeit mit Pina Bausch. Seit 1998 Inszenierungen und Konzerte in Deutschland und Europa. 2000 Debüt in Bayreuth, 2002 in Salzburg, 2003 an der Scala di Milano. 2003 inszenierte sie “Madame Butterfly” an der Semperoper. 2005 sang sie am Téâtre de Chatelet, Paris, im „Ring“ von Robert Wilson unter Leitung von Christoph Eschenbach. Jüngste Inszenierungen u.a. „Orpheus und Euridike“ und “Die Zauberflöte”.


LAUREN NEWTON
Vokalistin

Arbeit an Vokaltechniken, die weit über den Gesang hinaus gehen. Das vokale Spektrum wird gefestigt durch freie Improvisationen und “work-modules”, die dem Vokalisten enorme musikalische Möglichkeiten geben. Klang, Lärm, Melodie, gesprochene Sprache, Rhythmus, Schweigen und unerwartete klangliche Momente dienen dazu, die Möglichkeiten der Stimme zu erforschen – und so an den Text selbst zu kommen. Der Text wird untersucht mittels Erprobung verschiedener vokaler und technischer Strategien u.a. Zerstörung und Rekonstruktion im Gegenüber von Intellektualität und Absurdität. Die Arbeit konzentriert sich auf die Seiten 11/12 der Übersetzung von “Quartett”durch Douglas Langworthy (2001).

Lauren Newton wurde in Coos Bay, Oregon, USA geboren. Gesangsdiplom an der Hochschule für Musik Stuttgart. Konzerte mit Werken des Zwanzigsten Jahrhunderts, u.a. von Hans-Joachim Hespos und Adriana Hölszky. Seit 1975 Konzerte in Europa, USA, Afrika und Asien. Von 1979 bis 1989 Vokalistin im Vienna Art Orchestra. Seit 1982 Solistin in Japan in Performances mit Tänzern und bildenden Künstlern. Von 1983 bis 1999 Zusammenarbeit mit Ernst Jandl. Tourneen mit Vocal Summit (Lauren Newton, Jeanne Lee, Jay Clayton, Urszula Dudziak & Bobby McFerrin). Seit 1990 Zusammenarbeit mit dem Vokalquartettì "Timbre”, seit 1995 mit Joëlle Léandre, Jon Rose, Aki Takase und dem bildenden Künstler Koho Mori. Seit 1995 unterrichtet sie Jazzgesang und freie Improvisation an der Hochschule für Musik Luzern.

© AP-Bilderdienst[2]

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