Theater des Unbewussten

Der selbstanalytische Prozess im Schreiben Heiner Müllers

von Peter Staatsmann
Erscheinungsjahr: 2015

Stroemfeld Verlag
nexus 101,
370 Seiten, frz. Broschur
Einzelpreis: 28,00 €

»Was in allen Stücken von Heiner Müller dargestellt wird, ist eine Schreckensregression, die zur Faszination wird. Das ist die Grundambivalenz, wer die nicht auf der Bühne darstellen kann, der kann Müller nicht darstellen.« Klaus Heinrich

Heiner Müller ging es um die Partizipation des Zuschauers bei kreativen Prozessen. Das bedeutet jedoch nicht nur eine rationale Entschlüsselung von Thesen und Themen, sondern eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit dem eigenen psychischen Leben, den Verdrängungen und Traumata. Bisher hat die Forschung sich zu einseitig auf Heiner Müller als ›politischen‹ Dramatiker fokussiert und vernachlässigte, dass Müller den Traum, das individuelle wie gesellschaftliche Unbewusste und die eigene psychische Welt und Triebökonomie zur Grundlage des eigenen Schreibens gemacht hatte. Erst die dezidierte Wahrnehmung und Würdigung einer spezifischen Ästhetik des Unbewussten bei Müller, wie Peter Staatsmann sie hier anhand seiner Texte und bislang unveröffentlichten Archivmaterials durchführt, erweist Müllers Theatertexte bedeutsam im Sinne einer universalen und gattungsgeschichtlich reflektierenden Literatur. Alle ­Stücke Müllers sind – inspiriert durch die Psychoanalyse – geprägt von einer Schreibhaltung und einer Wirkungsästhetik, die auf mehr zielt als auf ›nur‹ rationale Auseinandersetzung. Sowohl als Produzent, als Dichter, als auch in seiner Rezeptionsästhetik des Theaters geht es Müller um die Öffnung der unbewussten und der verdrängten und verleugneten Anteile im sogenannten ›Ich‹ und in den Bewusstseins- und Mentalitätsbeständen der Gesellschaft. Die Darstellung dieses selbstanalytischen Prozesses – bis in die Mikrostruktur der Texte hinein – lässt in Staatsmanns Analyse durch die Zuhilfenahme der Kleinianischen und Postkleinianischen Psychoanalyse den Umriss eines Theaters des Unbewussten in Aktion entstehen, und der Nachvollzug von Müllers selbstanalytischem Prozess ergibt eine veränderte Sicht auf die innere, subjektive Seite seiner Stücke.
Ideologiekritik überschreitet Müller immer zur Psychoanalyse. Dabei geht es nicht um eine Psychoanalyse ›von außen‹, bei der psychoanalytische Kategorien an ein Werk der Literatur, das gleichsam von sich selbst abgewendet wäre, angelegt werden, sondern um die aufmerksame und notwendig unvollständige Rekonstruktion eines lebenslangen selbstanalytisch ausgerichteten Schreibens, das ein Bewusstsein seiner selbst hatte und immer auch die Grundlagen der mensch­lichen Gattung bearbeitete.

Weitere Informationen:
www.stroemfeld.com/de/buecher_T_695_1/

© Christopher Martin[1] Ute Schendel[2]

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