Bestandsaufnahme. Auseinandersetzung. Weiterarbeit

(2004)

Am 9. Januar 2004 wäre Heiner Müller 75 Jahre alt geworden. In der Akademie der Künste sind drei Tage der Bestandsaufnahme, der Auseinandersetzung und der Weiterarbeit mit seinen Texten geplant.

Was bedeuten Heiner Müllers Texte für uns, für unsere Gesellschaft? Wie kommen wir auf die Texte zurück, bestehen auf ihnen, gehen von ihnen aus? Finden die Texte einen neuen Raum auf dem Theater? Oder sind sie gegenwärtig wichtiger, um neue Räume im Denken zu eröffnen? Wie treffen Heiner Müllers Texte auf die Erfahrungen der jungen Leute, der Generation zwischen 20 und 30? Oder umgekehrt: wie nimmt die jüngste Theatergeneration Heiner Müllers Texte auf?

Was bedeuten Heiner Müllers Texte in den sogenannten "Randzonen" der Welt, die, wie er 1983 im Brief an den Regisseur der bulgarischen Erstaufführung von "Philoktet" schrieb, von der Spirale der Geschichte zermahlen werden und im Zuge dessen auch die Zentren ruinieren, die sich das noch immer nicht träumen lassen?

Wie wird mit diesen Texten gearbeitet? Warum schnitt am 11. September 2001 Heiner Müllers Schlußtext von "Anatomie Titus Fall of Rome Ein Shakespearekommentar" mitten durchs Herz?

"Tatsächlich sind seine Texte der Schauplatz der Operationen, auf dem die Geschichte den Körper bedrängt, verletzt, den Geist peinigt", schrieb der brasilianische Soziologe Laymert García dos Santos im Frühjahr 2001, "auf diesen Angriff reagiert das Menschliche, indem es rebelliert, sich widersetzt, sich entzieht, Auswege sucht, Kräfte sammelt. Extrem politisch, kann Müller die stattfindende Kollision und die Gegenwart als Konflikt schneller formulieren, weil seine Kunst aus der Radikalität der conditio humana in der gegenwärtigen Welt selbst entspringt; darum berührt sie die Leser und Zuschauer, die die Intensität der Zeiten spüren, die in einem Ausnahmezustand leben."


PHILOSOPHEN. ARABISCHE DICHTER. JUNGE THEATERLEUTE


An drei Tagen sollen in der Akademie der Künste Philosophen, Dichter und junge Theaterleute zu Wort kommen, die sich, jeder aus seinem Denken, jeder von seinem künstlerischen Ansatz aus, mit den Texten von Heiner Müller auseinandersetzen.
Dabei kommt den Dichtern der arabischen Welt eine wichtige Rolle zu, ein Neu-Lesen von Heiner Müllers Texten, um den von ihm geführten und eingeforderten Diskurs weiterzutragen, um anzuzeigen, was sie in ihrer Arbeit, in ihrer Sprache mit ihm verbindet, um zu erforschen, inwieweit die Sprache von Heiner Müller, inwieweit sein Schreiben ihrer Selbstverständigung nützt.

"Wie die Geier sich auf die Wunde des Philoktet stürzten, im Versuch ihn lebendig zu verschlingen, stürzten sich Unternehmer aller Art auf Beirut, und die Kriegsverbrecher zeigten sich in aller Öffentlichkeit, als wäre nichts gewesen, und partizipieren an der neuen Staatsmacht. Das hat eine bis heute andauernde Unruhe geschaffen, die sich nicht auflösen lässt, und hat bei vielen

Jugendlichen einen dumpfen Zorn und eine große Mutlosigkeit hervorgerufen. ... Und das ist derselbe Zorn wie der gegen die, die Deutschland in die Zerstörung geführt haben, und die, die nach dem Krieg seine Niederlage vollendet haben, der Heiner Müller die Energie gegeben hat, seine Stücke zu schreiben", so die libanesische Dichterin Etel Adnan im Frühjahr 2003 über Heiner Müller und seinen "Philoktet".

"Müller bleibt mein Nonplusultra", schreibt die junge italienische Germanistin Milena Massalongo, "so einer Sprache, die das getötet hat, was in ihr noch von Rede und Geschwätz steckt, bin ich noch nicht begegnet."

© New York Post[1] Christopher Martin[2]

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