Müllermontag XXXIV: Theater des Unbewussten - Der selbstanalytische Prozess im Schreiben Heiner Müllers

Buchvorstellung und Lesung
Mit u.a. Peter Staatsmann und Gerd Koch

»Was in allen Stücken von Heiner Müller dargestellt wird, ist eine Schreckensregression, die zur Faszination wird. Das ist die Grundambivalenz, wer die nicht auf der Bühne darstellen kann, der kann Müller nicht darstellen.« Klaus Heinrich

Klaus Heinrich bezeichnete Peter Staatsmanns Buch "Theater des Unbewussten" als ein Schlüsselwerk des modernen Theaters, weil es am Beispiel von Heiner Müllers Stücken darstellt, wie im zeitgenössischen Theater verfahren werden muss, um zu einer den gegenwärtigen Katastrophen und Schrecken angemessenen Ästhetik zu kommen. Einer zunehmend psychotisch strukturierten Wirklichkeit entspricht ein Theater, in dem Blöcke unvermittelt aufeinander prallen ohne dass eine moderierende Subjektivität noch ordnend eingreifen könnte. Dieser realen Schwäche einer subjektiven Vernunftinstanz liefert sich Müller aus, indem er sein Schreiben gegenüber dem Unbewussten radikal öffnet. Die geträumten und 'empfangenen' Splitter aus der Unterwelt der Psyche werden von ihm unzensiert und undomestiziert in seine Texte einmontiert, das Unbewusste wird so gleichsam zum Moderator. Mit dieser literarischen Verfahrensweise steht Müller - neben Beckett - fast singulär im Kontext der dramatischen Literatur der Gegenwart.

Alle ­Stücke Müllers sind von dieser Schreibhaltung und einer Wirkungsästhetik geprägt, die daher auf mehr zielt als auf ›nur‹ rationale Auseinandersetzung. Sowohl als Produzent, als Dichter, als auch in seiner Rezeptionsästhetik des Theaters geht es Müller um eine konsequente Einbeziehung der unbewussten und der verdrängten und verleugneten Anteile im sogenannten ›Ich‹ und in den Bewusstseins- und Mentalitätsbeständen der Gesellschaft. Die Darstellung des besonderen selbstanalytischen Prozesses in der Kunst Heiner Müllers – bis in die Mikrostruktur der Texte hinein – lässt in Peter Staatsmanns Buch den Umriss eines Theaters des Unbewussten in Aktion entstehen, wie es für das heutige Theater beispielhaft und orientierend ist. Dabei geht es nicht um eine Psychoanalyse ›von außen‹, bei der psychoanalytische Kategorien an ein Werk der Literatur, das gleichsam von sich selbst abgewendet wäre, angelegt werden, sondern um die aufmerksame Rekonstruktion eines lebenslangen selbstanalytisch ausgerichteten Schreibens, das ein Bewusstsein seiner selbst hatte und immer auch die Grundlagen der mensch­lichen Gattung bearbeitete.

20. Juni 2016, 20 Uhr
Literaturforum im Brecht-Haus

Staatsmann, Peter: Theater des Unbewussten: der selbstanalytische Prozess im dramatischen Schreiben Heiner Müllers", Frankfurt, M.: Stroemfeld 2015, 368 S.

http://www.stroemfeld.de/de/buecher_T_695_3/

© Heidi Paris/Merve Verlag

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