Müllersalon#5: Theater, denen es nicht mehr gelingt, die Frage „Was soll das“ zu provozieren, werden mit Recht geschlossen

Eine Theaterbeschimpfung (nach Brecht und Müller) mit Jürgen Kuttner und B.K. Tragelehn, Moderation: Alexander Karschnia

6. November 2017, 20 Uhr
Deutsches Theater Berlin, Saal

Holger Teschke: Du hast schon 1990 davon gesprochen, dass Theater zunehmend Verpackung verkauft, Markenprodukte, bei denen der Verkaufswert über Aufmachung und Wiedererkennung gesteuert wird, von denen dann ganze Fälscherringe leben. Kann sich das Theater diesem Sog des Verkaufszwangs überhaupt noch entziehen?
Heiner Müller: In der Struktur, in der es momentan existiert, nicht. Die muß zerbrochen werden. Die Volksbühne ist ein gutes Modell. Die versucht, Theater zu verabsolutieren, einen unmittelbaren Anschluß an das Leben der Zuschauer herzustellen, was aber nichts zu tun hat mit Eins-zu-eins-Abbildungen, im Gegenteil. Da wird Theater ein Lebensraum und verkauft nicht nur Produkte zur Abendunterhaltung, da sind auch die Zuschauer eingeladen, den Prozeß der Theaterarbeit zur Kenntnis zu nehmen (...).
Schön wäre es, wenn man zu Theaterformen kommen könnte wie im alten chinesischen Theater, wo Theater noch Festcharakter hatte. Das dauerte 24 Stunden, und die Leute kamen mit Sack und Pack und Kind und Kegel und haben ihr Essen mitgebracht und ihre Getränke, und du gehst weg und du kommst wieder (...).
In der „Frankfurter Rundschau“ läuft gerade so eine Serie, wo sich Leute über die absolute Notwendigkeit von Theater äußern. Das bezeichnet die Krise, denn etwas, das wirklich für eine Gesellschaft notwendig ist, muß keiner begründen. (...)
Und in diesem Zusammenhang wäre es interessant zu untersuchen, wie die Geburt der Kliniken und Irrenhäuser zusammenfällt mit der Einsperrung der Theater in feste Häuser (...). Der Einschluß in Häuser als Ausschluß aus der Öffentlichkeit (...). Man zeigt das Sterben und den Wahnsinn und die Verwandlung nur noch in abgeschlossenen Räumen. Das ist heute noch ein Problem des Theaters, noch immer.

(Auszüge aus Heiner Müllers Gespräch mit Holger Teschke Theater muß wieder seinen Nullpunkt finden, Werke 12, Gespräche 3, S. 476 ff.)

Eine Kooperation mit dem Deutschen Theater Berlin
Tickets unter:

https://www.deutschestheater.de/programm/a-z/muellersalon_5/#anchor-navigation-dates

© Margit Broich[1][2][3] Ute Schendel[4]

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