Klassengesellschaft reloaded und das Ende der Gattung. Fragen an Heiner Müller
Werkstattgespräch am 10. und 11. September 2019 im Literaturforum im Brecht Haus, Berlin
In Kooperation mit der Internationalen Heiner Müller Gesellschaft und der Universität Osnabrück.
Es mehren sich die Indizien, dass der Begriff der Klassengesellschaft zu erneuter Aktualität gelangt. Die Errungenschaften unterschiedlicher historischer Gesellschaftsordnungen werden von der neoliberalen Doktrin durchsetzt, zermürbt, angegriffen; sozialstaatliche Kompromisse, mit denen die soziale Markwirtschaft sich einst die Arbeiter gefügig machte, erscheinen nun ebenso als mythisches Idyll wie ein sozialistisches Telos einer klassenlosen Gesellschaft. Das Verhältnis zwischen Arm und Reich – von Entwertung, Bewertung und Aufwertung – bewegt sich in Richtungen, deren Verläufe immer weniger antizipierbar sind. Während von Seiten des liberalen Bürgertums viel unternommen wird, eine kulturelle Ungleichbehandlung (die etwa auf Kategorien wie ›race‹ und ›gender‹ beruhen) zu beseitigen, wird der Spin der ökonomischen Klassengegensätze oftmals übersehen; der ›Klassismus‹ – Ausgrenzung und Diskriminierung aufgrund der Klassenzugehörigkeit – führt neben den anderen, kulturell grundierten Diskriminierungsformen wie Rassismus und Sexismus eine weitgehend unbeachtete Randexistenz. Hier ist ein Klassenbewusstsein all derer im Begriff sich zu bilden, die sich keine Hoffnungen mehr machen, von der ökonomischen Dynamik des globalen Kapitalismus zu profitieren; ein genaueres Hinschauen auf dieses unterbelichtete Feld – das Fragen aufwirft, das Chancen und Gefahren in sich birgt, das nach Antworten verlangt – lohnt sich.
Zwei Themenschwerpunkte sind dabei richtungsweisend: Klassismuskritik und Gattungssuizid im Werk Heiner Müllers. Die Fragen unseres Werkstattgesprächs bezüglich dieser beiden Themen lauten: In welcher Weise und in welchem Grade lässt Müllers Werk sich in eine historische Situation transponieren, in der die Perspektive auf ein Ende der Klassengesellschaft fragwürdig geworden ist und wir uns darauf einzurichten haben, dass in der Zeit, die uns bleibt, business as usual gemacht wird und die Klassengegensätze sich weiter verschärfen. Kann Heiner Müllers Werk zur Diagnose unserer heutigen Situation etwas beitragen? Oder lassen sich gar Lösungsansätze zu ihren Problemlagen aus seinen Texten fördern?
Die Formen dieser Fragen bzw. der jeweiligen Versuche ihrer Beantwortung bestehen sowohl aus wissenschaftlichen als auch aus essayistischen Auseinandersetzungen mit den beiden Themen, aus Projektbeschreibungen und -berichten sowie experimentellen Diskursen und Adaptionen – aber vor allem aus einem gemeinsamen ergebnisoffen geführten Gespräch.
Die Untersuchung des Gebrauchswertes von Heiner Müllers Werk liegt uns dabei mindestens genauso am Herzen wie eine analytisch deskriptive Textwahrnehmung.
Für die Internationale Heiner Müller Gesellschaft veranstaltet von Prof. Dr. Kai Bremer, PD Dr. Wolfram Ette, Dr. Falk Strehlow
Werkstattgespräch am 10. + 11. September 2019 im Literaturforum im Brechthaus, Berlin
Programm
10.9. Literaturforum im Brechthaus
13:00-13:15: Begrüßung
13:15-14:00 Patrick Eiden-Offe (ZfL Berlin): Klassenbewusstsein oder Klassismus? Vorschläge für eine Debattenkorrektur
14:00-14:45 Falk Strehlow (IHMG Berlin): „Wenn du wissen willst, wer hier dein Herr ist, kauf dir einen Spiegel“ – Klassismus-Darstellungen bei Heiner Müller
14:45-15:15 Diskussion (Moderation: Wolfram Ette)
15:15-15:30 Kaffeepause
15:30-16:15 Natalie Driemeyer (Hans Otto Theater Potsdam): Müllers „Auftrag“ im Spiegel des Welt-Klima-Theaters
16:15-17:00 Sandra Fluhrer (Universität Erlangen): „Heiner Müllers Bauern“
17:00-17:45 Andrea Geier (Universität Trier): Kleiderständer der Geschichte? Mythosrezeption bei Heiner Müller und Volker Braun
17:45-18:15 Diskussion (Moderation: Kai Bremer)
20:00-22:00 Öffentliche Podiumsdiskussion „Warum zertrümmert ihr das Fundament?“ Hartwig Albiro (Chemnitz) und Carena Schlewitt (Europäisches Zentrum der Künste Dresden-Hellerau), Moderation: Janine Ludwig (Dickinson College, Universität Bremen, IHMG)
11.9. Literaturforum im Brechthaus
13:30-14:15 Wolfram Ette (LMU München): „Selbstmord der Gattung“. Zu einem Grenzwert von Müllers Werk
14:15-15:00 Christian Meyer (FU Berlin): „Wenn der Preis der Revolution die Revolution ist“ – Illegitime Gewalt in Heiner Müllers Mauser
15:00-15:30 Diskussion (Moderation: Falk Strehlow)
15:30-16:00 Kaffeepause
16:00-16:45 Helen Müller (LMU München): Rasender Stillstand in Heiner Müllers Prosatext „Herakles 2 oder die Hydra“. Zur Immanenz des Kapitals
16:45-17:30 Sarah Pogoda (Bangor University): Künstlerische Forschung im Unvereinbaren. Die neoliberale Universität als sozialistisches Produktionsstück
17:30-18:00 Diskussion (Moderation: Kai Bremer)
20:00-22:00 Buchpräsentation und Lesung von Roter Stern in den Wolken 2 von B. K. Tragelehn mit dem Autor (Moderation: Kai Bremer, Universität Osnabrück)
Finanziert aus Mitteln des Preises der JLU Gießen.